1997/98 - Aggressiver Beginn: Wal-Mart kauft 21 Wertkauf-Filialen und übernimmt 1998 noch 74 Märkte der Marke Interspar. Geschäftsführer ist zunächst der nicht mal 40-jährige Amerikaner Ron Tiarks, der sich bei Wal-Mart in Arkansas hochgedient hat. Er spricht anfangs kein Wort Deutsch, hat aber die amerikanische geprägte Philosophie des Konzerns internalisiert. Mit radikalen Preissenkungen entfacht er einen Preiskampf mit Platzhirschen wie Aldi.
1999 - Expansion auf amerikanische Art: In Dortmund wird der erste modernisierte "Superstore" eröffnet. Die deutschen Mitarbeiter werden nach US-Vorbild auf Kundenfreundlichkeit durch Zusammenhalt und Spaß an der Arbeit getrimmt. Aber die amerikanischen Rezepte funktionieren in Deutschland nicht. Kunden fühlen sich vom "Begrüßer" am Eingang eher belästigt. Von Mitarbeitern heißt es, sie hassten die Appelle, bei denen sich die gesamte Filialbelegschaft versammeln muss - manche verdrücken sich lieber aufs Klo statt teilzunehmen.
2000 - Zweite Angriffswelle, Turbulenzen an der Spitze: Wal-Mart zettelt im Frühjahr und Herbst Preiskriege an, um Marktanteile zu erobern. Später ist in den Medien von riesigen Verlusten die Rede. Im April übernimmt der 47-jährige Allan Leighton das Oberkommando bei Wal-Mart Europa. Das operative Geschäft in der Deutschland-Zentrale Wuppertal steuert zum ersten Mal ein deutscher Manager - Volker Barth.
Im Sommer wehren sich Aktionäre der Metro AG erfolgreich gegen Übernahmepläne des US-Konzerns. Nach dem Scheitern des Versuchs kündigt Leighton an, aus eigener Kraft in Deutschland 50 neue Läden zu eröffnen. Deutsche Konkurrenten schütteln mit den Köpfen: "Völlig unrealistisch" und zu großspurig seien die Pläne. Ende des Jahres gibt Leighton sein Amt als Europa-Chef auf - nach nur neun Monaten. Er habe übersehen, dass Wal-Mart in Deutschland zu klein sei, Preiskriege erfolgreich durchstehen zu können, heißt es hinterher von Handelsexperten.
2001 - Dritter Führungswechsel: Im Februar sagt Deutschland-Chef Volker Barth in einem Interview: "Ich sitze fest im Sattel." Nur knapp drei Monate später übernimmt der 43-Jährige Kay Hafner, der von der Lekkerland-Tobaccoland-Gruppe kommt, die Führung.
Hafner gilt nicht als Wunschkandidat des US-Managements - ein anderer war für den "Schleudersitz" in Deutschland aber offenbar nicht zu finden. Immerhin hält er es bis 2005 und damit länger aus als jeder andere Chef in der Geschichte von Wal-Mart Deutschland. Unterdessen stutzt das Unternehmen seine Expansionspläne radikal zurück: Es heißt, man wolle 2001 nur noch zwei Filialen neu eröffnen, geplant waren zunächst rund 20.
2004 - Niederlage vor Gericht und Feldzug gegen die Kosten: Das Amtsgericht Wuppertal zwingt Wal-Mart, erstmals seine Bilanzen in Deutschland offen zu legen. Erste, im Bundesanzeiger nachträglich für das Jahr 2000 abgedruckte Zahlen weisen allein bei vier SB-Warenhäusern ein Minus von insgesamt 26 Millionen Euro aus. Der Verlust für das gesamte Deutschland-Geschäft liegt in dreistelliger Millionenhöhe - bei einem Umsatz unter drei Milliarden Euro.
Gewerkschafter klagen derweil, Wal-Mart versuche mit "Erpressungsmethoden", die Kosten zu senken. Wenn Mitarbeiter sich gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeit wehrten, würde oft mit der Schließung der ganzen Filiale gedroht. "Stellen werden gestrichen und die Leute müssen mehr arbeiten", sagt ein Gewerkschafter Ende 2004 zu SPIEGEL ONLINE.
Frühjahr 2005 - Kulturkampf um den Flirt bei der Arbeit: Nach amerikanischem Vorbild will Wal-Mart unter anderem Liebesbeziehungen und sogar Flirts bei der Arbeit untersagen. Die sogenannte "Ethik-Richtlinie" bringt Wal-Mart viel negative Publicity und Klagen von Gewerkschaftern und Mitarbeitern ein. Im Herbst urteilt das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, die Richtlinie sei in Deutschland weitgehend nichtig.
September 2005 - Letzte Chance: Nach vier Jahren legt Deutschland-Chef Kay Hafner (Foto recht) sein Amt nieder - "auf eigenen Wunsch", heißt es offiziell. Sein Nachfolger ist der damals 50-jährige Brite David Wild. In einem Interview sagt er: "Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und wollen (in Deutschland) Gewinn machen. Das werden wir auch schaffen. Verlassen Sie sich darauf."
Dezember 2005 - Am Tropf der Mutter: Einem Bericht der "Lebensmittel Zeitung" zufolge ist Wal-Mart in Deutschland praktisch pleite. Nur eine Patronatserklärung des Mutterkonzerns aus Arkansas habe die insolvenzrechtliche Überschuldung abgewendet. Ein paar Monate später verkauft Wal-Mart seine Geschäfte in Südkorea, die ähnlich miserabel liefen wie in Deutschland - ein Präzedenzfall. Insidern schwant schon jetzt: Der US-Konzern hat die Geduld mit seinen verlustreichen Auslandstöchtern verloren.
Juli 2006 - Ende eines Abenteuers: Der deutsche Einzelhandelskonzern Metro teilt mit, er werde die inzwischen nur noch 85 verbliebenen Wal-Mart-Märkte in Deutschland für einen Schnäppchenpreis übernehmen. Für den US-Konzern ist es eine schmerzliche Kapitulation: Keiner der seit 1997 amtierenden Deutschland-Chefs hat es geschafft, die US-Kette auf dem konkurrenzreichen deutschen Markt profitabel zu etablieren. Während die Metro und Konkurrenten wie Aldi und Lidl jubilieren können, fürchten sich die Mitarbeiter in den alten Wal-Mart-Filialen vor Stellenabbau.
itz